Die Idylle trügt! Das Almleben heute unterscheidet sich grundlegend von dem früherer Zeiten. Weniger Personal, weniger Pflege, oft weniger Weidevieh und zum Teil auch nicht zu optimalen Zeiten am Ort – das hat nicht zuletzt auch Auswirkungen auf die Almweiden selbst. Und da diese nicht nur Postkarten-Hintergrund, sondern auch Äsungsflächen für Wildtiere sind, hat jede Veränderung in der Bewirtschaftung unserer Almen auch Auswirkungen auf das Wild, vor allem Rot- und Gamswild. Wurden 1957 noch ca. 690.000 Nutztiere auf die österreichischen Bergweiden getrieben, sind es heutzutage nur noch knapp 290.000.
Nicht nur die Zahl des Almviehs, auch die eingesetzten Rassen und nachlassende Herdenführung haben ihre Spuren auf den Almen hinterlassen. Die Folgen der meist zu späten und zu geringen Beweidung sowie des Fehlens des Almputzens sind je nach Lage oft eine massive Ausbreitung von Borstgras, mit einem geringen Futterwert, oder der Verlust von Weidefläche insgesamt durch die Verbuschung zum Beispiel mit Latschen auf Kalk oder der Rostblättrigen Alpenrose auf Silikatgestein. Für Wild und Vieh höherwertige Nahrungspflanzen werden dadurch verdrängt.
Optimale Weideorganisation
Erfolgt dagegen eine frühe Bestoßung der Almflächen, sind die Tiere gezwungen, auch wenig schmackhafte Pflanzen und noch junge Weideunkräuter zu nutzen, solange diese wenig verholzte Pflanzenmasse aufweisen und durch hohen Eiweißgehalt auch schmackhaft sind. Die Vorweide mit Schafen auf den Hochflächen, die Hauptweide mit Rindern und eine Nachweide mit Pferden würde die optimale Ausnutzung der Almfläche gewährleisten. Wird das Weidevieh dann in regelmäßigen Abständen, etwa im wöchentlichen Turnus, auf neue Weide ächen getrieben, so dass sich die gerade genutzten Flächen erholen können, fördert dies vielfältige, artenreiche und hochproduktive Almflächen.
Auch die sich ansammelnden Steine auf der Oberfläche und zu geringer Verbissdruck auf jungen Gehölzpflanzen führen zu einem Verlust an Äsungsflächen und zur Verschlechterung der Äsungsqualität.
Der Beruf des „Almputzers“, der unerwünschte Pflanzen, wie Disteln, Ampfer, Adlerfarn oder Latschen, von den Flächen noch per Hand entfernte und dabei auch Steine aufsammelte, wird heute nicht mehr ausgeübt. Dass all das messbare Folgen für die Entwicklung eines Gamsbestandes haben kann, wurde inzwischen mehrfach bestätigt.
Fetter Klee für starke Kitze
In mittelitalienischen Gamsvorkommen, in den Abruzzen haben Sandro Lovari und Francesco Ferretti akribisch dokumentiert, was passiert, wenn die Äsung in den Sommereinständen des Gamswildes schlechter wird. Dort waren es vor allem zunehmende Rotwildbestände, die das Gamswild in weniger günstige Äsungseinstände abdrängte. Dort sank die Milchprodiktion der Geißen nicht nur in der Menge sondern auch in der Qualität. Die Folge war, dass die Kitze im Laufe des Sommers langsamer an Gewicht zunahmen und den Winter mit geringeren Reserven angingen.
Kein Wunder, dass sich die geringere Pflanzenproduktion im Sommer in einer höheren Sterblichkeit der Kitze im Winter auswirkte. Deshalb ist es so wichtig, dass die Gams im Sommer eine große Palette an Nahrungspflanzen erhalten.
Systematisch sind diese Zusammenhänge in den Alpen noch kaum untersucht worden. Doch vielleicht liegt auch hier ein Baustein zur Erklärung der stetig sinkenden Gamsbestände.
Almpflege ist Gamshege
Beherzte Jagdpächter in Tirol entschlossen sich deshalb zu handeln: Was passiert, wenn wir die Almflächen im Revier wieder Schritt für Schritt verbessern? Gesagt, getan! Almmeliorierungsmaßnahmen sind, gerade wenn lange nichts in die Flächenpflege investiert wurde, arbeitsintensiv und kostenaufwendig. Dies verlangt Investitionen, die landwirtschaftliche Betriebe oder Weidegenossenschaften nur mehr schwer alleine stemmen können. Deshalb holten die Jäger Hilfe bei engagierten jungen Leuten und luden zusammen mit dem Alpenverein zu einer Umweltbaustelle ein. Gleichzeitig ließen sie die Auswirkungen der Maßnahmen auf das Gamswild im Rahmen eines Forschungsprojektes der Universität für Bodenkultur begleitend untersuchen.
Zentrales Problem dieser nord-exponierten Alm am Alpenhauptkamm ist die durch die genannte wenig optimale Bewirtschaftung verursachte Verbuschung durch die Rostblättrige Alpenrose. Eine Änderung des Weidedrucks ist aus strukturellen Gründen nicht möglich, doch Hirte und Jäger sind sich einig: Es ist höchste Zeit für tatkräftiges Handeln!
Langfristige Ziele des Projektes sind die Wildlenkung durch Habitatverbesserungen, eine großflächigere Nutzung der Alm durch das Gamswild sowie letztendlich eine Erhöhung des Gamsbestandes. Denn Verfügbarkeit und Zugang zu hochwertiger Sommeräsung spiegelt sich bei Gamswild direkt und deutlich in der Zuwachsrate des jeweiligen Bestandes wider.
Im Jagdrevier wurden im vergangenen Jahr bereits folgende Maßnahmen umgesetzt:
- Freischneiden und Aufräumen der Wechsel zwischen den Flächen
- Befreiung der Flächen von Steinen an der Oberfläche
- Großflächiges Ausgraben der Rostblättrigen Alpenrosen
- Einpflanzen von Latschen und Grünerlen als Deckung auf einer Fläche, die von Gämsen früher gerne genutzt wurde, jedoch nicht weit von einem Wanderweg entfernt ist
- Aushacken von Bürstlingsrasen
- und Ausbringen einer Saatmischung für saures Gestein über 1700 m
In diesem Jahr werden von den Studenten des Instituts für Wildbiologie und Jagdwirtschaft (IWJ) an der Universität für Bodenkultur im Rahmen der nächsten Meliorierungs-Aktion folgende Fragen untersucht:
- Hat sich die Zusammensetzung der Pflanzenarten auf den Weideflächen verändert?
- Hat sich die Nutzung der Flächen durch das Gamswild verändert?
- und haben sich im Vergleich zum Vorjahr Veränderungen im Energie- und Nährstoffgehalt der Gamsäsung ergeben?
Aktuelle Ergebnisse
Durch die tagelangen intensiven Beobachtungen des Gamswildes durch einen der Autoren (TB) haben die Forscher „ganz nebenbei“ auch andere interessante Ergebnisse sammeln können. Obwohl der Wandersteig nicht durch die Gamseinstände und Äsungsflächen hindurchführt, sondern sich entlang der anderen Seite des Almkessels nach oben windet, haben die Wanderer auf diesem Steig einen deutlich messbaren negativen Einfluss auf die Nutzung der Äsungsflächen.
Das bedeutet, dass die Gämsen mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht ihr komplettes Potenzial, im Sommer ausreichend Energiereserven aufzubauen, ausschöpfen können, da Sichern und Ziehen Zeit verschwendet. Dies ist ein Faktor von mehreren, der sich negativ auf die Bestandsentwicklung auswirken kann.
Obwohl das Revier zur Zeit kein bekanntes und besonders attraktives Wandergebiet für Touristen darstellt, reagieren die Gams auf die Wanderer bereits empflndlich. TB beobachtete auch mehrfach, wie sich Hunde bis zu hundert Metern von ihren Herrchen entfernt haben. Für eine Gams oder ein Reh, welches sich in den Alpenrosen versteckt, könnte das bereits gefährlich werden.
Deshalb sollten mit freundlichen Hinweisen auf Tafeln oder an Jausenstationen die Wanderer gebeten werden, ihre Hunde an die Leine zu nehmen.
Kleine Schritte
Nicht überall können aufwendige Almmeliorierungen zusammen mit den Grundbesitzern und Almbetreibern in die Wege geleitet werden. Aber in jedem Revier können sich Jäger Gedanken machen, wie sich die natürliche Äsung verbessern wird.
Ungemäht oder unvollständig abgeweidet verholzen die Stängel und Blätter der Berggräser und -kräuter. Mähstreifen und kleine Mähflächen an Straßenböschungen und Hangflächen können hier wertvolle Hilfe leisten. Vor allem in trockenen heißen Sommern gibt das dem Wild nochmal eine extra Portion Protein und Zucker, um Kräfte für den Winter aufzubauen.
Gamshege ist eben mehr als Salztragen!
Autoren: Tino Broghammer und Dr. Christine Miller, IWJ, Univ. für Bodenkultur, Wien